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aus den

'Briefen nach der Heimat' >

Zerrieben zwischen Patriarchat und Kolonialismus -

eine sehnsüchtige afrikanische Prinzessin in Hamburg

Bis zu ihrem Tod hatte sie Sehnsucht zurück nach Sansibar. Auf ihrem Grabstein in Hamburg ist ein Vers von Theodor Fontane zu lesen: 'Der ist in tiefster Seele treu, wer die Heimat liebt wie Du.'

Sayyida Salme wird 1844 als Tochter von Sayyid Said bin Sultan geboren. Sansibar ist Sitz der omanischen Dynastie, die über mehrere afrikanische Länder regiert und interkontinental mit Sklaven, Elfenbein und Gewürznelken handelt. 1866 lernt Sayyida Rudolf Heinrich Ruete kennen, Agent des Hamburger Handelshauses Hansing & Co., das bei den einträglichen Geschäften des Sultanats mitverdienen will. Dass sie schwanger wird und dass der zukünftige Vater nach islamischer Vorstellung ein 'Ungläubiger' ist, ist in ihrer Familie ein Skandal, und sie muss vor ihrem Bruder fliehen, der sie nun bedroht. Sie flüchtet auf ein englisches Kriegsschiff, das sie in die arabische Stadt Aden bringt, wo sie sich taufen lässt, um den hanseatischen Kaufmann heiraten zu können. Damit bricht sie endgültig mit ihrer aristokratischen Familie. Die Frischvermählten kommen nach Hamburg, und aus der arabisch-afrikanischen Prinzessin wird die deutsche Bürgersgattin Emily Ruete: eine erstaunliche Verwandlung, eine beinahe perfekte Assimilation - auf Kosten des eigenen Lebensglücks.

Ihr erstes Kind stirbt noch vor Ankunft in Hamburg; sie bekommt noch zwei Töchter und einen Sohn. Nach drei Jahren Ehe verunglückt ihr Mann tödlich. Einsam und sehnsüchtig schreibt 'Briefe nach der Heimat'*, in denen sie einer fiktiven Freundin auf Sansibar ihr neues, ungewohntes Leben schildert - doch es ist ein Dialog mit sich selbst. Sie leidet unter Heimweh, Zwängen in der wilhelminischen Gesellschaft und menschlicher Kälte der 'Nordländer'. Als Frau kann sie nach Hamburger Rechtschreibung nur über ein Drittel ihres Erbes verfügen. Selbst dieses nehmen ihr gewiefte Vermögensverwalter größenteils weg.

Enttäuscht und verarmt verlässt sie mit 26 Jahren die Hansestadt und zieht nach Dresden, Rudolfstadt, Berlin. Sie versucht, sich als Arabischlehrerin durchzuschlagen und schreibt an ihren Memoiren 'Leben im Sultanspalast', die in der orientalismus-begeisterten deutschen Gesellschaft ein gewisser Erfolg werden. Doch die Migrantin wird nirgendswo heimisch, sie fühlt sich als Aussenseiterin, und ihre Sehnsucht nach Afrika bleibt. An Rückkehr ist freilich nicht zu denken, denn ihre Brüder auf Sansibar haben sie endgültig verstoßen und enterbt.

Und plötzlich wird Emily Ruete zum Spielball der Weltpolitik. Der deutsche Kolonisator Carl Peters rafft mit sogenannten 'Schutzverträgen' brutal und auf betrügerische Art und Weise Ländereien für die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft zusammen. Der Sultan von Sansibar hat sich von Peters überrumpeln lassen und einen Pachtvertrag unterschrieben. Nun beschwert er sich beim deutschen Kaiser. Bismarck reagiert prompt mit der Entsendung von Kriegsschiffen gegen den Sultan. Mit an Bord ist Emily Ruete. Bismarck kennt die Familienzwistigkeiten zwischen dem Sultan und seiner Schwester Sayyida und heckt einen perfiden Plan aus: sollte der deutschen Staatsbürgerin etwas zustoßen, wäre dies ein Vorwand, Sansibar anzugreifen. Von diesen Intrigen ahnt sie freilich nichts. Zweimal kann sie noch Sansibar besuchen, doch ihre Brüder verweigern jeglichen Kontakt. Kaiser und Kanzler in Deutschland lassen sie fallen - die Schwester der Sultans ist nur noch ein Störenfaktor in den kolonialen Bestrebungen.

 

Sultanspalast auf Sansibar

Der Sultan ergibt sich schließlich kampflos. Nicht so alle Herrscher und Häuptlinge, die mit deutschen 'Schutzverträgen' enteignet wurden: heftige Aufstände im Landesinnern und an der Küste des neuen 'Protektorats Deutsch-Ostafrika' werden von Hermann von Wissmann blutig niedergeschlagen. Seine 'Wissmann-Truppe' bekämpft afrikanische Völker, die gegen Wegnahme von Land und Vieh sowie gegen Zwangsarbeit rebellieren. Fünf Jahre später geben die Deutschen den Engländern Sansibar und andere Küstengebiete und bekommen dafür Land in Namibia und Helgoland.

Emily Ruete wandert aus nach Jaffa, Jerusalem, Beirut, kehrt aber ruhelos wieder zurück nach Deutschland und lebt ihre letzten Jahre bei ihrer Tochter in Jena. 1924 stirbt sie verarmt und wird in der Rueteschen Familiengruft auf dem Hamburger Friedhof Ohlsdorf beerdigt. Bei sich hatte sie einen Beutel weissen, feinen Sandes von ihrer geliebten, verlorenen Heimatinsel, der ihrer Urne beigegeben wird.

 

aus den

'Briefen nach der Heimat' >

* Ruete, Emily, geb. Prinzessin Salme von Oman und Sansibar: Briefe nach der Heimat, hrsg. Heinz Schneppen. - Frankfurt/Main: Philo, 1999

- zur Zeit vergriffen, Neuauflage Frühjahr 2004